Frauen sind verwöhnt - auch heute noch Teil 2
Fortsetzung des Interviews mit Esther Vilar
Sie haben sich schon in den 1970er-Jahren für eine Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau ausgesprochen. In der Schweiz steht das erst jetzt wieder zur Debatte – die Feministinnen wehren sich mit Händen und Füssen dagegen.
Was, das gibt es in der Schweiz noch? Das ist ja nicht möglich! Und tatsächlich wehren sich Frauen?
Im linken Spektrum sogar die Mehrheit.
Unfassbar! Frauen leben ja viel länger als Männer: Wenn schon, sollten wir Frauen länger arbeiten. Das ist dermassen absurd, mit einem solchen Kampf tut man den Frauen keinen Gefallen. Und das im Jahr 2021!
Die Frauen sagen, sie verdienten weniger, deshalb sei es gerecht, dass sie früher in Rente dürften.
Selbstverständlich bin ich auch für Lohngleichheit. Dafür soll man auch kämpfen. Das heisst aber nicht, dass man deshalb andere Ungerechtigkeiten beibehalten soll. Es gibt Gewerkschaften, Demonstrationsfreiheit, wir Frauen stellen die Mehrheit der Wählerstimmen – mit diesen Mitteln kann man heute alles erreichen.
Sie haben selber vorgelebt, wofür Sie gekämpft haben: Ihr Mann schaute auf Ihren Sohn, während Sie auf Lesungen waren und das Geld nach Hause brachten. Wie funktionierte das?
Unsere Lebensform war damals skandalös, und das wäre sie auch heute noch, wenn auch nicht mehr so stark. Ich war ganz auf mich selbst gestellt, völlig unabhängig. Für einen Mann ist diese Aufteilung viel schwieriger als für die Frau: Wenn er kein Geld verdient und zu Hause bleibt, wird er als Versager tituliert. Wir Frauen müssen den Männern helfen, aus dieser Dressur rauszukommen.
Wollen die Männer überhaupt rauskommen? Sie schreiben selbst von der «Lust an der Unfreiheit», die der Mensch tief in sich drinnen habe.
Wer glücklich ist als Arbeitssklave, der soll so weitermachen, ganz klar. Aber diese Leute sollen wissen, dass es auch eine andere, freiere Form zu leben gibt. Wenn sie sich dann trotzdem für die klassische Aufteilung entscheiden, ist das natürlich in Ordnung. Man kann niemanden zur Freiheit zwingen.
Ihr gesamtes literarisches Werk dreht sich um das Paradox, dass der Mensch im Zweifel die Unfreiheit der Freiheit vorzieht. Haben Sie herausgefunden, weshalb dem so ist?
Von Freiheit zu reden, für sie zu kämpfen, ja sogar für sie zu sterben, ist einfach. Die Freiheit tagtäglich zu leben allerdings, ist etwas vom Schwierigsten, was es gibt. Niemand lebt in totaler Freiheit, das würde man gar nicht aushalten. Familie, Religion und vieles mehr, was Geborgenheit bringt, bedeutet Unfreiheit. Wenn das selbst gewählt ist, habe ich kein Problem damit. Sehr wohl aber, wenn man unreflektiert mit der Herde mitläuft.
Sie waren immer eine Einzelkämpferin, während die andere Seite eine ganze Bewegung hinter sich hatte. Macht Freiheit einsam?
Allerdings. Die Freiheit ist das aber wert.
Ihre grosse Gegenspielerin war Alice Schwarzer, niemand hat Sie so stark attackiert wie sie. Wie haben Sie sie erlebt?
Ich habe sie nur einmal getroffen, für die berühmte Fernsehdebatte 1975. Sonst haben wir nie miteinander gesprochen. Aber ich kenne ja Feministinnen in vielen anderen Ländern, da ist keine besonders originell.
Auch nach der Sendung sprachen Sie nicht mit Schwarzer?
Sie hatte mich vor der Kamera als «Faschistin» bezeichnet, die man vor Gericht stellen sollte. Das war so anmassend, ich hatte wirklich keine Lust mehr, mit ihr noch länger herumzusitzen.
Woher kommt diese Aggression beim Thema Feminismus?
Die Frauen sind verwöhnt von den Medien. Überall liest man feministische Interviews, auch heute noch. Das ist alles sehr einseitig. Die Frauen erhalten das ganze Mitgefühl, die Männer keines. Feministinnen sind es nicht gewohnt, dass jemand mal eine andere Sichtweise einbringt.
Feministinnen würden wohl das Umgekehrte sagen: An den Schalthebeln sitzen noch immer vorwiegend Männer.
Die Macht liegt aber bei den Frauen. Die Mehrheit der Wähler sind Frauen, Frauen treffen die meisten Kaufentscheide – laut neuester Statistik sind es zurzeit 80 Prozent –, die ganze Bildung und Erziehung ist in Frauenhand. Wenn die Frauen trotzdem mehrheitlich Männer wählen, dann deshalb, weil sie davon ausgehen, dass ein männlicher Kandidat vielleicht mehr für sie bringen wird als ein weiblicher.
Im Parlament der Stadt Bern sitzen mittlerweile 70 Prozent Frauen.
Tatsächlich? Wahrscheinlich beschweren sich die Frauen dort immer noch, oder? Aber dieses Beispiel zeigt, dass sich ganz viel verändert. Die Männer beginnen sich ja nun auch zu schminken, vielleicht ziehen sie sich in Zukunft mehr zurück, bleiben unter sich, wer weiss. Aber ist es wirklich das, was der Feminismus will?
Interview von Rico Bandle mit Esther Vilar, publiziert in der Sonntagszeitung vom 27.03.21
https://www.tagesanzeiger.ch/f…h-heute-noch-607721260092
Ich habe lediglich die letzten beiden Fragen, die ein Theaterstück betreffen, weggelassen.
Don Phallo