Es erstaunt mich, dass diese Pressemitteilung anscheinend keine hohen Wellen wirft. Diese vorgesehene Gesetzesänderung ist ein schwerwiegender Eingriff in das Arzt- und Anwaltsgeheimnis und die Pressefreiheit. So etwas ist normalerweise nur in autokratisch oder diktatorisch regierten Ländern üblich und eines Rechtsstaates absolut unwürdig. Die Pandemie mit ihren drastischen Eingriffen in die individuelle Freiheit hat offenbar beim Staat Gelüste geweckt, diesbezüglich noch aktiver zu werden. Die Registrierung der Gäste am Empfang im Club und die Weiterleitung der Daten an die Behörden, wie wir es alle während der Pandemie erlebt haben, ist ein Vorgeschmack dessen, was uns noch bevorstehen könnte.
Hier noch der Text aus dem Tages Anzeiger, der das Berufsgeheimnis von Ärzten, Anwälten und Journalisten betrifft:
"Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) will seine Spionagetätigkeit in besonderen Fällen auf Berufsgruppen ausweiten, die bisher besonders geschützt waren – sowohl durch das Strafrecht als auch durch das Nachrichtendienstgesetz. Es handelt sich dabei um Berufsgruppen, die ein tiefes Vertrauensverhältnis zur Kundschaft voraussetzen."
Betroffen davon sind Ärztinnen und Ärzte, aber auch Anwältinnen und Anwälte, Notare, Psychiaterinnen und Psychologen sowie Geistliche. Beziehungsweise die Menschen, die sich dort behandeln, beraten und vertreten lassen. Und ihre Sorgen und Nöte preisgeben – immer im Vertrauen, dass niemand davon erfährt.
Die genannten Berufsgruppen dürfen bislang nicht vom Schweizer Geheimdienst abgehört, beobachtet, verwanzt und sonst wie überwacht werden. Künftig soll das möglich sein – sofern eine schwerwiegende Bedrohung des Landes vorliegt.
Das Verteidigungsministerium, zu dem der Nachrichtendienst des Bundes gehört, und der Bundesrat wollen das Nachrichtendienstgesetz revidieren. Er hat kürzlich seine Reformvorschläge präsentiert. Interessierte Kreise können nun Stellung nehmen. Bisher unbemerkt geblieben ist in der Öffentlichkeit dabei ein wichtiger Punkt: dass der ganze Absatz gestrichen werden soll, der das Berufsgeheimnis von Ärztinnen, Psychiatern, Anwälten, Pfarrerinnen oder Journalisten garantiert. Er wurde ersatzlos gestrichen. Doch die Streichung blieb in der Medienmitteilung unerwähnt.
«Wer so etwas will, ist entweder blöd oder bösartig.»
Valentin Landmann, Anwalt In den Erläuterungen zur Gesetzesrevision findet sich ein kurzer Absatz, in dem der Bundesrat die Streichung mit einem simplen Beispiel begründet: Hilfspersonen von Ärzten und Ärztinnen könnten als Privatpersonen Handyabonnemente abschliessen und diese anderen Personen übergeben. Wenn nun vom tatsächlichen Nutzer des Telefons eine schwere Bedrohung der Sicherheit in der Schweiz ausgehe, könne dessen Handy nicht abgehört werden.
Entsetzen unter Promi-Anwälten
Weshalb aber aufgrund eines solchen Beispiels gleich alle geschützten Berufsgruppen aus dem Nachrichtendienstgesetz fallen sollen, bleibt auch bei genauer Durchsicht eines Begleitberichts unklar. Entsprechend scharf fallen die Reaktionen des Zürcher Anwalts Valentin Landmann und dessen Berner Berufskollegen Thomas Marfurt aus.
Für Landmann, der auch im Zürcher Kantonsrat politisiert, landen mit dem vorgeschlagenen Gesetz die verfassungsmässigen Rechte im Abfalleimer. Solches sei man aus Ländern ohne Rechtsschutz gewohnt, nicht aber aus der Schweiz. «Mit dieser Bestimmung kann man das Anwaltsgeheimnis gleich auf den Misthaufen werfen», sagt Landmann. Das Geheimnis sei aber absolut zentral, damit jemand überhaupt Vertrauen zu einem Rechtsvertreter aufbauen könne. Eine gutwillige Erklärung für diesen Schritt gebe es schlicht nicht: «Wer so etwas will, ist entweder blöd oder bösartig.»
«Kein Rechtsstaat mehr»
Der Berner Anwalt Thomas Marfurt geht noch weiter. Die Schutzfunktion für Menschen, die dem Berufsgeheimnis unterstünden, müsse um jeden Preis aufrechterhalten bleiben. Sonst dürfe sich die Schweiz nicht mehr Rechtsstaat nennen «Mit der Streichung dieses Absatzes im Gesetz würde jegliche Form des Berufsgeheimnisses ausgehebelt.»
Dem Beispiel in den Gesetzeserläuterungen stellt Marfurt ein eigenes gegenüber: «Ein Nachrichtendienstmitarbeiter will sich scheiden lassen. Seine Frau rennt zum Anwalt. Wenn dieser Mitarbeiter die entsprechenden Möglichkeiten hat, kann er mit den entsprechenden technischen Hilfsmitteln in den Server oder in die Cloud eindringen, in welchen der Anwalt das Dossier der Ehescheidung ‹aufbewahrt›. Es gibt keine Kontrolle und kein Hindernis mehr.»
Erstaunt reagiert auch die Ärztevereinigung FMH. Eine Sprecherin schreibt, die Beratung und Behandlung von Patienten bedinge, dass ein Arzt Kenntnis von sensiblen, die Privat- und Intimsphären betreffenden Informationen erhalte. Diese beziehen sich nicht selten auch auf Angehörige oder Dritte. Die Betroffenen würden solche Informationen nur erteilen wollen, wenn die Vertraulichkeit gewährleistet sei. Die absoluten Geheimhaltungspflichten seien daher notwendige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Diagnosestellung und Behandlung.
Vertrauen wird zerstört
Mit der Regelung im revidierten Nachrichtendienstgesetz ist die FMH nicht einverstanden: «Das Vertrauen der Patientinnen und Patienten zu den Ärztinnen und Ärzten wird dadurch gestört und zieht schwerwiegende Folgen für das Arzt-Patienten-Verhältnis nach sich.»
Bei Bedarf sollen neu auch Journalistinnen und Journalisten in den Fokus des NDB rücken. Dominik Fitze von der Journalistengewerkschaft Syndicom spricht von einem Angriff auf die Pressefreiheit. Man wehre sich entschieden gegen den Vorschlag, der es im Einzelfall ermögliche, Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit nachrichtendienstlich zu überwachen.
Das Anliegen, in bestimmten Fällen den Schutz von geschützten Berufsgruppen aufzuheben, sei nachvollziehbar, findet Fitze. Das im Vernehmlassungsbericht genannte Beispiel – eine Arzthelferin gibt auf sie registrierte SIM-Karten an Terrorverdächtige weiter – sei nachvollziehbar. Fitze sagt aber auch: «Die vorgeschlagene Regelung geht aber viel zu weit. Faktisch bedeutet sie die Aufhebung des Quellenschutzes, schwächt die Rolle von Journalistinnen und erschwert ihren Zugang zu Quellen.»
Geheimdienst wehrt sich
NDB-Sprecherin Isabelle Graber erklärt auf Anfrage, man wolle nicht einfach mehr Berufsgeheimnisträger überwachen. Es gehe um die Aufklärung von besonders schweren Bedrohungen der Sicherheit der Schweiz. Deshalb ist die Überwachung von Berufsgeheimnisträgern heute schon möglich – allerdings nur dann, wenn die Bedrohung von ihnen selbst ausgeht. Also wenn ein Anwalt Terror aktiv unterstützt oder eine Psychologin.
Die Triage, wer überwacht wird, soll unter Aufsicht des Bundesverwaltungsgerichts erfolgen. Die tiefgreifenden Spionagemassnahmen müssen von Verteidigungsministerin Bundesrätin Viola Amherd sowie vom Gericht in St. Gallen in jedem Einzelfall bewilligt werden.
Heute sind davon nicht nur Berufsgeheimnisträger ausgenommen, sondern auch deren Hilfspersonen. Dies lasse den Kreis sehr gross werden, erläutert NDB-Sprecherin Graber. Ein grosses Schweizer Spital könne allein über 10’000 Personen beschäftigen.
Ende Zitat aus dem Tages-Anzeiger
Don Phallo