Ehrenwerter JohnnyGS
, lieber gerhard66
Ich bin wirklich traurig, dass ihr trotz all meinen Bemühungen immer noch auf dem falschen Dampfer unterwegs seid. Daher habe ich etwas ganz Verrücktes getan - ich habe mich zu euch auf den Dampfer gesetzt und das Servus-TV Interview von Sucharit Bhakdi geschaut.
Während dem ersten Teil des Interviews hatte ich wirklich Freude. Er hat intelligent und wissenschaftlich korrekt argumentiert, obwohl sein Argumentarium und seine Ansichtsweisen etwas einseitig waren. Aber genau dies macht ja den wissenschaftlichen – und im Übrigen auch den politischen – Diskurs aus. Man muss auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die eine Meinung jenseits der dritten Perzentile vertreten. Natürlich immer unter der Voraussetzung, dass nicht einfach Blödsinn erzählt wird – wie z.B. Trump über seine Inauguration, über die er behauptet, es waren so viele Leute wie noch nie anwesend. Nun gut. Dies einzuordnen ist nicht immer ganz einfach und für den ungebildeten und unwissenden Zuhörer bisweilen fast unmöglich. Im Weiteren ist es nun wichtig nach einer eingehenden Analyse eine Synthese von vielen verschiedenen Meinungen und Ansichtsweisen zu machen. Dieser zweite Schritt bedarf einer gewissen Anstrengung und verlangt nach dem Willen die vermeintlich wahren Facts kennenlernen zu wollen. Man kann nicht einfach eine politisch oder wissenschaftlich nahezu extremistische Sicht als einzig korrekte Wahrheit verkaufen und die überwiegende Mehrheit der anderen Meinungen einfach so wegwischen. Wenn man dies macht, ist man schon nahe bei den Flacherdlern, die auch viele Argumente hervorbringen, weshalb die Erde eigentlich flach ist und wieso die NASA die ganze Menschheit absichtlich belügt.
Der ehrenwerte Sucharit Bhakdi hat vieles unbestritten Richtiges gesagt und gewisse Dinge, die durchaus wissenschaftlich streitbar sind. Zum Beispiel die zweite Welle. Er ist der Meinung, dass diese nicht kommen wird, andere sind anderer Meinung, nämlich dass das Risiko hoch ist, dass sie kommen wird. Wer richtig liegt, wird sich leider erst in Zukunft zeigen. In dieser Sache kann der gute Sucharit Bhakdi die Wahrheit leider nicht für sich alleine pachten. Wer von euch hat einen Job, in dem er unter höchstem Druck aufgrund nur mangelhafter Informationen wichtige Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen treffen muss? Wer in einer solchen Position ist oder schon war, der hat höchstes Verständnis für den Bundesrat. Irgendwann muss eine Entscheidung getroffen werden. Ich pflege zu sagen, lieber eine mittelmässige Entscheidung zur Zeit, als eine gute Entscheidung zu spät. Im Nachgang kann immer sehr einfach kritisiert oder gar nachgetreten werden: man hätte dies tun sollen oder jenes lassen sollen – der Diskurs des kleinen unzufriedenen Mannes. Auch Sucharit Bhakdi hat im Übrigen Verständnis für die erste Phase des Shutdowns.
Im weiteren Verlauf des Interviews ist der ehrenwerte Sucharit Bhakdi dann doch in etwas unsicherere Gewässer abgeschweift und hat sich getrieben von seinem buddhistischen Weltbild sehr weit zum Fenster hinausgelehnt. Zuerst konstatiert er, dass die Politik nicht einfach einen Shutdown aufgrund irgendwelcher Hochrechnungen anordnen kann. Dann zitiert er selber Studien, welche ihre Schlüsse auf der Basis komplexer Datenanalysen ziehen. Ich kenne diese Studien sehr gut. Die sind alle wissenschaftlich durchaus richtig und sehr interessant zu lesen. Aber jede Studie beleuchtet immer nur einen Bruchteil der gesamten Komplexität und kann nicht als alleinige Wahrheit zitiert werden. Man könnte nun stundenlang weiter philosophieren und einzelne Details herauspicken mit Argumenten dafür oder dagegen. Aber so kommen wir nicht weiter. Viele erkennen den Wald aufgrund der vielen Bäume nicht mehr. Es bringt jetzt nichts, dass ich die Aussage von Sucharit Bhakdi über die Thrombosen und Lungenembolien, die aufgrund eines Bewegungsmangels in der Quarantäne entstanden seien, widerlege und auf das DIC (disseminierte intravasale Gerinnung) bei schwer Erkrankten, insbesondere bei endothelialer Beteiligung, zu sprechen komme. Auch etwas ziemlich Einfaches, von dem leider weder Epidemiologen noch Mikrobiologen etwas verstehen.
Fact ist: Es gab in den letzten Wochen und Monate in der Schweiz sehr viele zusätzliche Patienten, welche extrem krank waren und intensivmedizinisch versorgt werden mussten. Sucharit Bhakdi würde nun behaupten, man wisse nicht, ob die wirklich wegen Covid-19 in so einem schlechten Zustand waren oder nicht. Fair enough. Nehmen wir mal seine extreme Meinung ein und sagen, vielleicht hat er recht. Aber was hatten die denn alle? Ich wiederhole mich: Ein grosses Spital in der Schweiz hat gegen 70 Intensivmedizinplätze, wobei immer circa 3-5 Plätze frei sind. Nun hatten wir in der Deutschschweiz (nicht Tessin, nicht Italien) in so einem Spital gegen 25 zusätzliche intensivmedizinbedürftige Patienten. Das übersteigt die freie Kapazität um den Faktor 5-8! Wie soll man all diese Patienten behandeln! Die Kapazität kann nur sehr langsam ausgebaut werden (Bettenaufbau und OP-Stopp). Und die Behauptung von Sucharit Bhakdi man könne diese Patienten nicht behandeln, weil das Medizinpersonal nicht mehr arbeite und in Quarantäne ist entbehrt jeder Grundlage. Das ist schlicht und einfach falsch. Wie macht man das also? Falls es etwas Infektiöses ist, das die Patienten erkranken lässt, dann muss man die Neuinfektionsrate tief halten. Man kann annehmen, dass der Anteil an schweren Erkrankungen immer etwa gleich gross ist, ganz egal wie hoch die Dunkelziffer ist. Weniger Neuinfektionen = weniger schwer Erkrankte. Das ist relativ einfach zu verstehen und dem kann auch Sucharit Bhakdi nichts entgegenhalten, falls er sich auf eine Diskussion über handfeste Tatsachen einlassen würde. Tatsache ist auch, dass es in den letzten Jahrzenten noch nie eine derartige Patientenschwemme auf den Intensivstationen gegeben hat. Noch nie (!) – auch während den schweren Grippeepidemien nicht.
Ob Covid-19 Erkrankungen oder nicht, ob SARS-CoV2 gefährlich ist oder nicht, gewisse Kennzahlen zeigen, dass etwas anders ist als die ganzen letzten Jahrzehnte! Daher hat der Bundesrat den Shutdown angeordnet und die erste Phase des Shutdowns war sogar in den Augen des viel zitierten Sucharit Bhakdi vertretbar. Aber wie soll es nun weitergehen? Man muss öffnen – ganz klar! Wir können die Wirtschaft nicht gegen die Wand fahren – auch klar! Aber man kann die Kennzahlen auf den Intensivstationen nicht einfach wegwischen und sagen, das sei nur politisch verursacht, es gäbe gar keine Krise. Wer das macht, hat Scheuklappen vor den Augen und verkennt ganz einfach hard facts! Das sind keine Statistiken, keine Hochrechnungen, nichts dergleichen. Das sind einfachste Tatsachen, die nur Flacherdler nicht verstehen wollen. Ich wiederhole nochmals: Auf den Intensivstationen liegen nicht vorwiegend uralte, demente und schwer vorerkrankte Patienten, sondern viele mit 50er und 60er Jahrgänge mit nicht allzu schweren Vorerkrankungen. Die uralten und schwer Vorerkrankten verstorbenen sehen dann die Pathologen, welche dann ihre Sichtweise schildern. Diese Sichtweise wiederum darf man dann aber nicht verallgemeinern und als alleinige Wahrheit anpreisen. Wer das tut, lässt all die 50er und 60 Jahrgänge ausser Acht, die medizinisch versorgt werden und hoffentlich überleben. Die tauchen nicht in der Todesursachenstatistik auf und die schneidet auch kein Pathologe auf.
Man kann nun sagen, das ist uns zu teuer. Lieber brummt die Wirtschaft und wir opfern ein paar tausend in dieser Altersklasse, weil wir keine Kapazität haben so viele auf einmal zu behandeln. Das ist eine legitime Ansicht. Aber man muss das auch so sagen und nicht einfach behaupten es gäbe keine Krise, SARS-CoV2 sei wie eine Grippe, alles sei nur eine politisch Agenda et cetera. Das ist flacherdlerisch und dumm.
Ehrenwerter JonnyGS, lieber gerhard66, bitte setzt euch auf den richtigen Dampfer. Gerne könnt ihr in einen andere Richtung fahren als der Mainstream, aber setzt euch auf den richtigen Dampfer und beleuchtet auch die Tatsachen, welche ihr nur schwer einordnen und verstehen könnt und die sich nicht so einfach in eure Einfache Lösung des Problems integrieren lassen.
Danke und Amen.