Samstagabend an der Langstrasse in Zürich: Trotz miesem Wetter versammelt sich das Partyvolk zu Hunderten auf und neben den Trottoirs. An den Hausmauern lehnen Sexarbeiterinnen, die das Geschäft wittern. Rund um die Piazza Cella stehen sie dicht an dicht, lächeln und sprechen ab und an eine vorbeigehende Männergruppe an.
Es ist das erste Wochenende, seit im Kanton Zürich das Prostitutionsverbot aufgehoben wurde. Über ein halbes Jahr lang war Sexarbeit in Zürich aufgrund der Pandemie verboten. Die in der Branche arbeitenden Frauen und Männer wichen teilweise in Kantone aus, wo die Regelungen lockerer waren. Viele reisten heim ins Herkunftsland.
Auffällig viele junge Frauen
Jetzt sind sie zurück. Auffällig sei allerdings, dass sich unter ihnen sehr viele neue und sehr junge Frauen befänden. Das beobachtet Beatrice Bänninger, Leiterin von Isla Victoria, einer Beratungsstelle für Sexarbeitende. «Viele von ihnen stammen aus Ungarn oder Rumänien und sind zwischen 18 und 20 Jahre alt.» Oft sei es das erste Mal, dass sie diesen Job ausübten und viele wüssten nicht, was auf sie zukommt, so Bänninger. «Das macht mir grosse Sorgen.»
Lelia Hunziker, Geschäftsführerin der FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, stellt Ähnliches fest. Die Push-Faktoren in den Herkunftsländern seien durch die Coronakrise grösser geworden. «Die wirtschaftliche Situation insbesondere von niedrig qualifizierten Arbeitenden hat sich verschlechtert. Gerade in den osteuropäischen Ländern entschieden sich deswegen viele für die Migration – und für die Sexarbeit», sagt Hunziker.
Eine weitere Beobachtung, die unterstützende Organisationen machen, ist der zunehmende Preiszerfall. Derzeit gebe es viel mehr Sexarbeiterinnen als Kunden, die eine erotische Dienstleistung kaufen wollten, so Bänninger von Isla Victoria. «Und wo das Angebot grösser ist als die Nachfrage, dort sinken bekanntermassen die Preise.» Was in der Marktwirtschaft üblich sei, habe für Sexarbeitende fatale Auswirkungen. Bänninger sagt: «Die Freier erhalten einen grösseren Verhandlungshebel. Sie verlangen Praktiken, die mit einem gesundheitlichen Risiko verbunden sind, ungeschützten Sex zum Beispiel, und die Frauen können kaum ablehnen, weil sie das Geld dringend brauchen.»
Mehr Krankheiten und ungewollte Schwangerschaften
Solche Tendenzen habe man bereits während des Verbots in den vergangenen Monaten beobachten können. Gemäss eines Expertinnenberichts des Netzwerks ProCoRe steckten sich während des Prostitutionsverbots mehr Sexarbeiterinnen mit einer Geschlechtskrankheit an oder wurden ungewollt schwanger. Die Frauen, die während dieser Zeit trotzdem gearbeitet hätten, seien einem grossen Druck ausgesetzt gewesen. Dabei sei es auch zu mehr Gewalt gegenüber Sexarbeiterinnen gekommen, auch habe es Fälle gegeben, wo Freier nach erhaltender Dienstleistung, ohne zu bezahlen, gegangen seien.
FIZ-Geschäftsführerin Hunziker sagt, es sei sicherlich eine Verbesserung, dass das Verbot endlich aufgehoben wurde. Doch die Situation mit den vielen neuen Sexarbeitenden und dem fortschreitenden Preisabfall, müsse jetzt beobachtet werden. «Vor allem ist jetzt wichtig, dass die beratenden Organisationen diese Menschen erreichen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen.» Je weniger Erfahrungen die Frauen hätten, umso wichtiger wäre Vernetzung. «Sexarbeit ist stark reguliert. Viel muss beachtet werden. Das Risiko, von falschen Personen Unterstützung zu bekommen und dann ausgebeutet zu werden, ist gross.»
Quelle
https://www.watson.ch/schweiz/…xarbeiterinnen-in-zuerich