Die Stimmen und Kommentare zur Lage der Prostitution differenzieren sich vernünftigerweise wieder (so wie bei Bettina Weber im Tagi - gepostet von Don Phallo).
David Signer hat sich in dazu in der NZZ gemeldet. Es steht nicht, worauf er sich stützt, aber jedenfalls behauptet er: "In Ländern mit einer liberalen Praxis wie der Schweiz ist Zwangsprostitution die Ausnahme, weil für einen Zuhälter immer das Risiko besteht, dass die Frau Anzeige erstattet."
That simpel??
Schön auch der Einstieg: "Seit einiger Zeit erhebt sich eine Empörung über die Prostitution, als hätte man eben erst mit Schaudern entdeckt, dass es Frauen gibt, die sich für Sex bezahlen lassen, und Männer, die zahlen."
Bis auf die beiden Artikel hier dünkt mich die Diskussion, die Schwarzer mit ihrer Buchpublikation und Interviews ausgelöst hat, bis dato sonst wenig fruchtbar und klärend.
Hier der Artikel:
Prostitutionsdebatte
Grünes Licht fürs Rotlicht
Seit einiger Zeit erhebt sich eine Empörung über die Prostitution, als hätte man eben erst mit Schaudern entdeckt, dass es Frauen gibt, die sich für Sex bezahlen lassen, und Männer, die zahlen. Im Gegensatz zu früher ist es heute aber nicht mehr die «zügellose Hure», die an den Pranger gestellt wird, sondern der «rücksichtslose Freier». Die weitverbreitete Vorstellung sieht etwa so aus: Millionen von Frauen werden wie Waren in der Welt herumgeschoben, um die rücksichtslose Sexgier der Männer zu befriedigen. Diese Sklavinnen, aus armen Ländern stammend, sind ahnungslose Opfer, der Willkür von mächtigen Schleppern und Zuhältern ausgeliefert, die sie ausbeuten und zugrunde richten. Jeder, der sie als Kunde frequentiert, macht sich mitschuldig an einem weltweiten Verbrechen. Das klingt wie ein Grimmsches Märchen von der Art «Böser Wolf gegen armes Rotkäppchen». Wie so oft ist die Wirklichkeit weniger simpel.
Sexarbeit als Wahl
Nicht alle Prostituierten sind Opfer von Menschenhandel und wollen «gerettet» werden. In jeder asiatischen, südamerikanischen oder afrikanischen Grossstadt gibt es Tausende von Prostituierten, die mit Handkuss nach Europa kämen. Warum soll ein Bordellbetreiber das Risiko eingehen, unerfahrene Frauen unter falschen Versprechen hierherzulocken, mit grossem Aufwand zu überwachen, einzusperren und mit Gewalt gefügig zu machen, wenn es genug professionelle Interessentinnen gibt, die sich auf das Jobangebot auf seiner Website melden?
Wenige westliche Frauen können sich vorstellen, dass eine Prostituierte ihrer Tätigkeit freiwillig nachgeht. Aber «Freiwilligkeit» ist eine Frage der Optionen. Eine gut bezahlte Lehrerin hat wenig Gründe, stattdessen auf den Strich zu gehen. Aber wenn – wie in vielen Ländern – die Alternativmöglichkeiten für eine unausgebildete junge Frau aus armen Verhältnissen Hausangestellte, Hilfsarbeiterin, Strassenverkäuferin oder Hausfrau und Mutter unter elenden Bedingungen lauten, gibt es handfeste Gründe für die «Berufswahl» Prostitution. Es geht um die Wahl des kleineren Übels. Kriminalisiert man Prostitution, wird aus der Sexarbeiterin nicht automatisch eine gut bezahlte Lehrerin. Sie wird arbeitslos oder verdingt sich als Hausangestellte zum Hungerlohn.
Das beschränkt sich nicht auf das Sexgewerbe. Gerne stellt man ja Prostitution als absoluten Sonderfall der Arbeitswelt dar. Aber wer geht «freiwillig» in ein Kohlebergwerk arbeiten oder zieht als Soldat in den Krieg? Zahllose Dreckarbeiten sind ebenso unerfreulich wie Sex mit jemandem, den man nicht liebt. Die Skandalisierung des Rotlichtmilieus löst es aus den konkreten Bezügen. Wo sind im Klischee der ausgebeuteten Frau die Stricher, Transsexuellen, Beach-Boys, Gigolos, Escort-Männer, Sugar-Mummies, Puffmütter und jungen Mittelstands-Gelegenheitsprostituierten? Sie bringen die Stereotype durcheinander.
Besonders verzweifelte, mutige oder naive Frauen werden auch im Falle einer Kriminalisierung den Weg der Prostitution einschlagen. Sie sind dann aber in einer besonders verwundbaren Position, weil sie jederzeit verzeigt werden können. Nur schon um ein Zimmer für ihre Tätigkeit zu finden, sind sie auf Vermittler und «Beschützer» aus dem kriminellen Milieu angewiesen. Im Falle von Missbrauch, Ausbeutung oder Gewalt können sie nicht zur Polizei gehen. Wird Prostitution verboten, sind sie die ersten Opfer. Dass das Sexgewerbe durch Kriminalisierung und Repression nicht verschwindet, zeigt ein Blick in andere Länder. In Thailand ist Prostitution verboten. Nicht einmal die fanatischsten Prohibitionsbefürworter würden wohl behaupten, es gebe keine Prostituierten in Bangkok.
Zwangsprostitution hierzulande selten
In Ländern mit einer liberalen Praxis wie der Schweiz ist Zwangsprostitution die Ausnahme, weil für einen Zuhälter immer das Risiko besteht, dass die Frau Anzeige erstattet. Die herumgeisternden hohen Zahlen hängen auch damit zusammen, dass Prostituierte ohne legalen Aufenthalt, werden sie von der Polizei geschnappt, gute Gründe haben, sich als Opfer von Menschenhandel darzustellen, um sich selber aus der Schusslinie zu nehmen. Bei Fällen extremer Ausbeutung stammen die Prostituierten bezeichnenderweise meist aus Ländern, in denen das Gewerbe illegal ist, vor allem aus Osteuropa. Gelegentliche gewalttätige Auswüchse haben mehr mit der Prohibition in den Herkunftsländern der Frauen zu tun als mit der Liberalität hier. Lange können solche Ausbeutungsverhältnisse im Allgemeinen auch nicht aufrechterhalten werden in einem Umfeld, wo Prostitution legal ist.
Es geht nicht darum, ob man Prostitution moralisch verwerflich findet oder nicht. Man kann gegen bezahlten Sex sein und trotzdem für eine Legalisierung, einfach, weil sie die Situation der betroffenen Frauen verbessert. Zu guter Letzt kann eine Frau, die ihrem Gewerbe legal nachgeht, auch leichter aussteigen, als wenn sie als Kriminelle gebrandmarkt und in die Halbwelt verstrickt ist.
Quelle: NZZ online, 22.11.2013