suedkurier vom 24.03.2018
Auftakt zum Bordellketten-Mammutprozess: Sexhölle im Paradies.
Prozessauftakt gegen Bordellketten-Chef Jürgen Rudloff. Die Anklage zerlegt das Saubermann-Image des 64-Jährigen: Ausbeutung statt selbstbestimmter Prostitution
Genauso saß Jürgen Rudloff vor fünf Jahren auch bei Günther Jauch auf der Couch und redete sein umstrittenes Geschäftsmodell von der selbstbestimmten Prostitution schön. Sorgfältig frisiert, Anzug, offenes weißes Hemd, ein nicht unsympathisch wirkender Mitsechziger und schwäbischer Mittelständler, wie er im Buche steht. Einer mit Haus in Stuttgarter Halbhöhenlage, dem Sportwagen aus schwäbischer Herstellung in der Garage, der seine vier Kinder auf die Waldorfschule schickt und samstags zum VfB ins Stadion geht. Der nur dadurch auffällt, dass sein Gewerbe aus dem bürgerlichen Rahmen in die Horizontale fällt: Rudloff ist Chef der Bordellkette „Paradise“ mit Filialen in Stuttgart, Frankfurt, Saarbrücken und Graz.
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Gestern, zum Prozessauftakt wegen Beihilfe zum schweren Menschenhandel, zur Zuhälterei und wegen Betrugs in Millionenhöhe, stört noch ein weiteres Detail das seriöse Bild, das der 64-Jährige so gerne abgab: die Handschellen, in denen er vorgeführt wird. Rudloff sitzt seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Mit ihm angeklagt sind der 52-jährige Geschäftsführer und der 51-jährige Marketingchef des Stuttgarter „Paradise“ sowie ein Frankfurter Jurist (70), mit dem zusammen Rudloff leichtgläubige Investoren um rund drei Millionen Euro betrogen haben soll. Zu den Geschädigten gehört auch Willi Weber, Ex-Manager von Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher.
Die 145-seitige Anklageschrift, die Oberstaatsanwalt Peter Holzwarth verliest, lässt dann wenig übrig vom Saubermann-Image Rudloffs, der stets vorgab, dass Ausbeutung in seinen Etablissements keinen Platz hätte. Das Geschäftsmodell: Rudloff stellt die Infrastruktur mit Räumlichkeiten und Wellnessangebot, die Kunden bezahlen Eintritt, die Prostituierten bezahlen Miete und rechnen darüber hinaus selbst mit den Freiern ab. Doch der Anklage nach sind es keineswegs nur selbstständige Sexarbeiterinnen, die sich im „Paradise“ anbieten. Sondern vor allem sorgen Angehörige der Rockergruppen „Hells Angels“ und „United Tribunes“ dafür, dass den Freiern stets ein wechselndes Angebot von jungen Frauen zur Verfügung steht – und das keinesfalls freiwillig. Weil die Rocker auch als Security im „Paradise“ tätig sind, stehen die Frauen auch im Club unter Daueraufsicht und dem Zwang, möglichst viele Freier „zu machen“.
Leinfelden-Echterdingen, 30.11.2014: Polizisten stehen während einer Razzia vor einem Bordell. Der Geschäftsführer des Bordells «Paradise» sitzt seit September 2017 in Untersuchungshaft. Am 23. März hat nun der Prozess wegen mutmaßlicher Förderung von schwerem Menschenhandel, Ausbeutung von Prostituierten, Zuhälterei und Betrug am Landgericht Stuttgart begonnen.
Leinfelden-Echterdingen, 30.11.2014: Polizisten stehen während einer Razzia vor einem Bordell. Der Geschäftsführer des Bordells «Paradise» sitzt seit September 2017 in Untersuchungshaft. Am 23. März hat nun der Prozess wegen mutmaßlicher Förderung von schwerem Menschenhandel, Ausbeutung von Prostituierten, Zuhälterei und Betrug am Landgericht Stuttgart begonnen. Bild: Andreas Rosar (dpa)
Auf die Fälle von 21 dieser jungen Frauen stützt sich die Anklage, nur eine von ihnen tritt in dem Prozess als Nebenklägerin auf. Der Oberstaatsanwalt lässt kaum Raum für die Annahme, dass Rudloff entgangen sein kann, was sich da vor seinen Augen abspielte. „Ihnen war es gleichgültig, ob die Frauen sich in wirtschaftlicher Notlage befanden, unter Drogen gesetzt wurden oder unter 21 Jahre alt waren“, hält die Anklage Rudloff vor. Das Ausbeutungsmuster ist immer das gleiche: Die Rocker machen gezielt junge Frauen emotional von sich abhängig, versprechen ihnen das große Geld und zwingen sie unter vorgespielten Liebesbeziehungen in die Prostitution – erst mit Versprechungen, später mit zunehmend brutaler Gewalt. So müssen zwei Frauen ohne jede Milieuerfahrung direkt nach ihrem 18. Geburtstag die Sexarbeit im Stuttgarter „Paradise“ aufnehmen. Kontrolliert werden sie dabei von den ebenfalls eingemieteten Hauptfrauen der Rocker, ein Entkommen ist kaum möglich. 500 Euro täglich oder mehr müssen sie schaffen, von 15 bis drei Uhr morgens durcharbeiten, auch bei Krankheit oder Entzündungen im Intimbereich.
Rudloff und ein 70-jähriger Rechtsassessor müssen sich zudem wegen Betrugs verantworten – sie sammelten laut Anklage in einem Schneeballsystem rund drei Millionen Euro für neue Großbordelle von „gutgläubigen Investoren ein, die auf Ihre Redlichkeit vertrauten“, so der Ankläger. „Tatsächlich aber haben Sie damit Rechnungen beglichen und Ihren privaten Lebenswandel finanziert.“
Bei einem früheren Prozess wurden elf Rocker bereits verurteilt. Noch hofft das Gericht, den mit 80 Terminen bis März 2019 angelegten Mammutprozess durch Teilgeständnisse verkürzen zu können. 175 Ordner umfassen die Ermittlungen. Die Anklage hat als möglichen Strafrahmen für Rudloff eine Haftstrafe im hohen einstelligen Jahresbereich, für die Mitangeklagten „die Hälfte oder darunter“ ausgegeben. Am Freitag sagte das Quartett zu den Vorwürfen zunächst nichts.
Menschenhandel
Schwerer Menschenhandel kann laut Paragraph 232 des Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft werden. Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung liegt vor, wenn Personen eine Zwangslage oder die Hilflosigkeit von anderen ausnutzen, um diese in die Prostitution zu bringen oder sie daran hindern, diese aufzugeben. Darunter fallen häufig Ausländerinnen ohne deutsche Sprachkenntnnisse.
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